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Hochtemperatur - Messung mit keramischen Sensoren
ein populärwissenschaftlicher Aufsatz
September 1992
1. Temperaturmessung im allgemeinen
Eine genaue Kenntnis der Temperatur ist für zahlreiche technische Prozesse wichtig, da viele Materialeigenschaften und
chemische Reaktionen stark temperaturabhängig sind. In der Nähe von 20°C sind Temperaturmessungen problemlos
möglich, man setzt hier üblicherweise Thermometer ein, die von dem bekannten Zusammenhang zwischen der
Ausdehnung eines Metallstreifens oder einer Flüssigkeitssäule und der Temperatur Gebrauch machen. Zur Messung
von Temperaturen oberhalb 1000°C werden häufig sogenannte Thermoelemente eingesetzt, die aus zwei unterschiedlichen
Metalldrähten bestehen, die an der Meßstelle, der „heißen“ Verbindung, zusammengelötet oder
-geschweißt sind. Zwischen diesen Drähten kann man am „kalten“ Ende eine Spannung messen, die dann ein
Maß für die Temperatur darstellt. Hier wird also auch der bekannte Zusammenhang zwischen einer Materialeigenschaft
- der „Thermospannung“ - und der Temperatur ausgenutzt. Das funktioniert solange, bis sich dieser Zusammenhang ändert,
das Thermoelement also driftet. Dies kann durch Einwirkung der zu messenden Temperatur selbst geschehen - z.B. durch
chemische Reaktion oder Verlust einer Metallkomponente durch Abdampfen - oder auch durch eine aggressive Umgebung, man
denke etwa an den starken Neutronenfluß in Kernreaktoren. Dann stimmt die vom Hersteller mitgelieferte Spannungs -
Temperatur - Tabelle nicht mehr, und das Thermoelement wird unbrauchbar. Für die meßtechnische Praxis
wünschenswert ist deshalb eine Methode, die ohne Drift ist. Eine solche Methode ist die Rauschthermometrie.
2. Rauschthermometrie
Zwischen den Sendern hört man im Radio ein Signal, das man (akustisches) Rauschen nennt. Es handelt sich um ein
regelloses Gemisch verschiedener Frequenzen. Ähnlich regellos verlaufen die Bewegungen der Elektronen in einem
Widerstand, der sich auf einer vom absoluten Nullpunkt verschiedenen Temperatur befindet. Die Spannung, die an einem solchen
Widerstand aufgrund der „Brown’schen Molekularbewegung“ der Elektronen abfällt, schwankt statistisch um 0 Volt. Der
Mittelwert der Quadrate dieser Spannungen ist hingegen ein Maß für die Temperatur des Widerstandes. Dieses hat
Nyquist 1928 theoretisch abgeleitet. Nach der nach ihm benannten Formel ist das mittlere Rauschspannungsquadrat um so
größer, je größer Widerstand und Temperatur sind, wobei der Faktor bekannt ist. Mißt man also
Widerstand und mittleres Rauschspannungsquadrat, hat man die Temperatur im Prinzip bestimmt. Da diese Spannung
typischerweise so klein ist, daß man sie mit einem Voltmeter, welches 1 µV messen kann, nicht auflösen kann, geht man
in der Praxis anders vor: man stellt einen Vergleichswiderstand, der sich auf einer bekannten Temperatur - etwa in einem
Thermostaten - befindet, so ein, daß sein mittleres Rauschspannungsquadrat gleich dem des Rauschwiderstandes ist. Die
zu messende Temperatur ergibt sich dann einfach als Produkt aus Vergleichstemperatur und Quotient aus Vergleichswiderstand
und Rauschwiderstand. Daran kann man erkennen, daß es sich bei der Rauschthermometrie um eine direkte Methode
handelt, die ohne Kenntnis der Temperaturabhängigkeit von Materialgrößen auskommt. Alle Änderungen
von Materialeigenschaften gehen lediglich in den Widerstandswert ein, der jederzeit durch eine einfache Messung bestimmt
werden kann. Somit ist das Rauschthermometer prinzipiell frei von Driften und bedarf keiner Kalibrierung.
Die Einstellung der Vergleichswiderstände, die Meßwerterfassung, sowie die Temperaturerrechnung erfolgen bei dem
in der KFA Jülich entwickelten Rauschthermometer durch den Computer.
3. Sensoren
Problematisch ist bei sehr hohen Temperaturen die Auslegung des Teils der Apparatur, der sich auf der zu messenden
Temperatur befindet. Es genügt nicht, die temperaturempfindliche Komponente des Rauschthermometers,
Rauschwiderstand oder Sensor genannt, auf die zu messende Temperatur zu bringen, man muß auch das Signal geeignet
weiterverarbeiten können. Abbildung 1 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines „Rauschfühlers“, der neben dem Sensor
noch aus Zuleitungen, die aus meßtechnischen Gründen in Vierleiterschaltung ausgeführt sein müssen,
Isolierung und Schutzmantel besteht. Bei dem dargestellten Fühler handelt es sich um einen sogenannten kombinierten
Fühler, bei dem die Zuleitungen aus Thermoelementen (TE) bestehen, so daß mit einem solchen System sowohl
Rauschthermometrie (RT), als auch Thermoelementmessungen möglich sind, wodurch die Vorteile der
Thermoelementmessungen (Schnelligkeit, einfache Handhabung) mit denen der Rauschthermometrie (Genauigkeit, Driftfreiheit) in
einer Anordnung genutzt werden können.
Abbildung 1: Prinzipieller Aufbau eines Hochtemperatur - Rauschfühlers
Aussagen über Sensormaterialien sind erst möglich, wenn es gelingt, einen kompletten Fühler zu bauen, das
heißt, es müssen vorher für alle Bauteile Materialien gefunden werden, die bei den zu messenden Temperaturen
miteinander verträglich sind, also keine chemische Reaktionen eingehen.
Rauschwiderstände werden herkömmlicherweise hergestellt, indem man einen dünnen Metalldraht durch eine
Viellochisolierkeramik fädelt oder eine Drahtwendel in eine Isolierkeramik einbringt (vergleiche Abbildung 2). Über die
Länge des Drahtes läßt sich der Widerstandswert einstellen. Solche Gebilde sind bei sehr hohen oder sich
schnell ändernden Temperaturen nicht sehr haltbar. Da die Rauschthermometrie eine statistische Methode ist, die
Meßungenauigkeit also mit zunehmender Meßzeit geringer wird, hat dies auch Auswirkungen auf die Genauigkeit der
Messungen. Längere Einsatzzeiten und somit genauere Messungen aufgrund der besseren chemischen Stabilität
verspricht man sich von Sensoren aus keramischen Materialien.
Um Widerstandswerte genau bestimmen zu können, ist es nötig, daß die Zuleitungen einen guten Sitz im
Widerstandskörper haben. Zu diesem Zweck werden die Elektroden schon bei der Formgebung mit in den Widerstand
eingebracht, also beim Pressen oder Gießen der Pulver. Durch die anschließende Temperaturbehandlung und die
damit verbundene Schrumpfung sitzen die Elektroden fest im Widerstand.
Abbildung 2: Gefädelter, gewendelter und keramischer Rauschwiderstand
4. Metall - Keramik - Verbundwerkstoffe (Cermets)
Die meisten keramischen Materialien sind gute bis hervorragende Isolatoren, für den Einsatz als Sensormaterial für die
Rauschthermometrie ist aber eine gute elektrische Leitfähigkeit vonnöten. Deshalb wurden Rauschwiderstände
aus Metall - Keramik - Verbundwerkstoffen, sogenannten „Cermets“, hergestellt und getestet. Bedauerlicherweise zeigen diese
Materialien einen abrupten Übergang vom isolierenden zum metallisch leitenden Verhalten, wenn man den Metallanteil
schrittweise erhöht. Die Möglichkeit, den Widerstandswert einzustellen, besteht hier also nicht. Dennoch lassen sich mit
solchen Widerständen (vergleiche Abbildung 2 rechts) Rauschmessungen durchführen. Aufgrund von
Veränderungen im Material bleibt bei hohen Temperaturen der Widerstand bei konstanter Temperatur nicht konstant,
sondern nimmt zu. Dieses kann die Rauschthermometrie zwar dulden, solange der Widerstand für einen einzelnen
Meßvorgang, der typischerweise einige Minuten dauert, konstant bleibt, nach längerer Temperaturbehandlung
verändert sich aber auch der Anteil der einzelnen Frequenzen am Rauschen, so daß der Sensor unbrauchbar wird. Mit
einer Einsatzgrenze von 1200°C für Dauerbetrieb dürften solche Sensoren nur bei sehr speziellen Aufgabenstellungen
eine Alternative zu herkömmlichen Rauschwiderständen darstellen.
5. Siliziumkarbid und Graphit
Für den Einsatz bei Temperaturen über 1700°C wurden Widerstände aus Siliziumkarbid (SiC) hergestellt. Da bei
diesem Material eine Kontaktierung mit Metalldrähten nicht möglich ist, bestehen die Zuleitungen aus geflochtener
Graphitschnur. Die vier Schnüre werden in die pastige Masse aus Pulver und Wasser in einer Kunststofform eingebracht.
Beim anschließenden Trockenvorgang schrumpft der Widerstand etwas, so daß er der Form entnommen und der
Temperaturbehandlung zugeführt werden kann. Abbildung 3 zeigt (vergrößert) ein solches Gebilde aus
Widerstand und Zuleitungen, welches im praktischen Einsatz das Problem aufweist, daß durch chemische Reaktion zwischen
Widerstand, Schnur und Isolierkeramik aus Bornitrid die Anordnung bei 1800°C nach einem Tag Einsatz unbrauchbar wird. Die
erhofften langen Standzeiten werden hier also nicht erreicht.
Abbildung 3: Rauschwiderstand aus Siliziumkarbid mit Zuleitungen aus geflochtener Graphitschnur
Des Rätsels Lösung liegt in einer wesentlichen Vereinfachung. Die Graphitschnur, die zur Kontaktierung der
Siliziumkarbidwiderstände benutzt wird, hat selbst einen Widerstand, der bei geeigneter Länge als Rauschwiderstand
genutzt werden kann. Was liegt also näher als einen Fühler zu bauen, bei dem sowohl Sensor, als auch Zuleitungen
aus geflochtener Graphitschnur bestehen? In der Tat erzielt man mit dieser Bauweise, bei der zwei Schnüre an
verschiedenen Punkten einer langen durchgehenden Schnur angeklebt werden, um in Vierleitertechnik messen zu können,
sehr gute Ergebnisse. Da das reaktionsfreudige Silizium im Fühler nicht vorkommt, laufen chemische Reaktionen sehr viel
langsamer ab als bei Siliziumkarbid - Fühlern. Mit Graphitfühlern lassen sich Temperaturen bis über 2000°C sehr
genau messen. Abbildung 4 zeigt, daß außerdem schnelle Temperaturzyklen zwischen Raumtemperatur und 2000°C
gefahren werden können, ohne daß der Fühler Schaden nimmt. Dieses stellt eine enorme Verbesserung,
insbesondere was die Haltbarkeit betrifft, gegenüber herkömmlichen Sensoren aus gefädeltem Wolfram
- Rhenium - Draht dar, bei denen solche Zyklen schnell zu einem Bruch des Drahtes führen.
Abbildung 4: Temperaturzyklen zwischen Raumtemperatur und 2000°C, gemessen mit einem Graphit - Fühler
6. Anwendungen
Mithilfe der beschriebenen Graphitfühler wird es möglich, auch in aggressiver Umgebung und wenn die Fühler
schnell wechselnden Temperaturen ausgesetzt sind, konstante Temperaturen bis über 2000°C mit großer Genauigkeit
zu messen. Beispiele hierfür sind Sinteröfen oder heißisostatische Pressen, sogenannte HIP - Anlagen.
Außerdem kann die Genauigkeit des Verfahrens zur Festlegung der thermodynamischen Temperaturskala bei hohen
Temperaturen genutzt werden, wozu bislang ein wesentlich höherer meßtechnischer Aufwand zu Ergebnissen mit
größeren Meßtoleranzen führt.
7. Literaturhinweis
Hoffmann, D., Elektrisch leitende Keramik als Sensormaterial für die Hochtemperaturrauschthermometrie, Berichte des Forschungszentrums Jülich 2649, 1992 (dort weitere Literatur)
E-mail an Dieter Hoffmann
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