Berater

Der Berater


Mein Chef lächelte zuvorkommend. Ich war sofort alarmiert, denn das tat er ausgesprochen selten. "Kommen Sie mit, Herr Kollege, ich stelle Ihnen Herrn Neumann vor. Er ist uns in diesen schwierigen Zeiten behilflich." Wir gingen in einen kleinen Besprechungsraum. Nachdem er uns miteinander bekannt gemacht hatte, war der Abteilungsleiter auch schon wieder weg. Ein wichtiger Termin, wie er meinte. Ich wußte, daß Personalberater im Haus waren, um Einsparungen vorzunehmen. Sicher gab es da Gesprächsbedarf. Aber was hatte ich damit zu tun?
 
      Wir setzten uns. "Herr Kübler, wie würden Sie Ihre Tätigkeit in diesem Unternehmen beschreiben?" Ich tat ihm den Gefallen. Er machte sich eifrig Notizen und nickte ermutigend. Ich war seit neun Jahren in der Firma. Damals war ich Quereinsteiger, hatte mich zügig mit der Materie vertraut gemacht und dann in einem abgegrenzten Arbeitsgebiet weitgehend selbständig gearbeitet. Als ich mit meiner kompakten Schilderung fertig war, legte er seine Stirn theatralisch in Falten. "Sie arbeiten hier also weit unter Ihren intellektuellen Möglichkeiten. Oder sehen Sie das anders?" Ich schluckte. Das war eine heikle Frage. Stimmte ich ihm zu, flog ich vielleicht raus. Oder wurde befördert. Widersprach ich, mußte ich mich komplett verleugnen. Denn in der Tat wurde ich geistig wenig gefordert bei dem, was ich tat. Während ich fieberhaft an einer diplomatischen Antwort arbeitete, klingelte sein Handy. Er entschuldigte sich, nahm das Gespräch an und ging nach draußen.
 
      Durch die Glasscheiben in der Wand konnte ich ihn weiterhin sehen. Ich stutzte. Wie er dort mit der Hand am Kopf stand, kam er mir auf einmal bekannt vor. Ich sah einen langhaarigen Jungen, der mit der identischen Geste am Rande eines Klassenraumes steht und ziemlich überheblich auf seine Mitschüler herabsieht. Ohne Handy natürlich, er hielt sich ein kleines Radio ans Ohr. Er wiederholte bei uns die siebte Klasse. Kein besonders heller Kopf, aber älter als wir, was auf uns großen Eindruck machte. Die Mädchen himmelten ihn an. Regelmäßig schrieb er die Hausaufgaben bei mir ab. Anfangs war ich ein wenig stolz darauf, aber es wurde für ihn zu einer Selbstverständlichkeit. Ich traute mich nicht, mich ihm zu widersetzen aus Angst, als Streber von der Klasse geschnitten zu werden. Nach dem Schuljahr verließ er die Schule, um sein Glück in einem anderen Bundesland zu versuchen. Nun war er hier. Und wollte mich hinauswerfen, da war ich mir jetzt ganz sicher. Eine Beförderung hätte mir mein Chef gewiß mit großem Pomp selbst präsentiert.
 
      Diese Erkenntnis vereinfachte die Situation. Ich hatte nun nichts mehr zu verlieren, oder doch? Ich war froh, daß mir die Firma seinerzeit nach längerer Arbeitslosigkeit eine Chance gegeben hatte. Eine Zeit lang war es ganz in Ordnung gewesen, vergleichsweise einfache Dinge für ein auskömmliches Gehalt zu erledigen. Doch inzwischen war die Langeweile mein ständiger Begleiter. Andererseits brauchte ich das Geld. Einen neuen Job zu finden war in den letzten zehn Jahren sicher nicht leichter geworden. Außerdem war ich ja auch im gleichen Maß gealtert. Eigentlich wollte ich keinen neuen Job, Langeweile hin oder her.
 
      Klaus oder besser Herr Neumann, der Berater, entschuldigte sich noch einmal, als er wieder hereinkam. Dann schaute er mich erwartungsvoll an. Daß er nicht "Gib mir mal Latein!" sagte, war alles. "Wo waren wir stehen geblieben? Ah, Ihre Tätigkeit. Ist doch ziemlich öde für einen Mann mit ihren Skills, nicht wahr?" - "Wenn der Job mir auch nicht alles abverlangt, so bin ich doch eigentlich ganz zufrieden damit." Er nickte. "Das hören wir oft. Aber nach neun Jahren ist es für Sie höchste Zeit, eine neue Herausforderung zu suchen. Ihre Firma ist sehr engagiert, wenn es um Outplacementberatung geht. Ich bin sicher, Sie werden sich erheblich verbessern können." Ich mußte überrascht ausgesehen haben. "Hat man Ihnen noch gar nicht mitgeteilt, daß Ihre Stelle im Rahmen der Restrukturierungsmaßen wegfällt? Das ist sehr bedauerlich. Aber Ihr Chef ist da keine Ausnahme. Viele leitende Angestellte überlassen es uns Externen, die vermeintlich schlechte Nachricht zu überbringen. Aber wie gesagt, für Sie sehe ich prima Perspektiven. Nur halt nicht hier." Dieser feige Kerl! Schickte den Berater, um sich die spontanen Wutausbrüche zu ersparen. Und dann auch noch diesen Vogel, der schon mit 13 ein perfekter Schmarotzer war. Ich hätte zornig sein sollen über die mehrfache Ungerechtigkeit der Situation. Aber ich spürte zunächst nur eine tiefe Leere. Als hätte jemand die Luft herausgelassen. Ich ließ ihn reden, nahm die angebotenen Broschüren und Schriftstücke, schüttelte seine Hand und ließ mir Glück wünschen.
 
      Zurück im Büro versuchte ich, das Chaos in meinem Kopf in den Griff zu bekommen. Meine beiden Zimmergenossen waren nicht am Platz, ich war also allein. Der Drecksack hatte mich offensichtlich nicht wiedererkannt. Warum auch, ich war ja nur einer von gewiß zahllosen Menschen, deren er sich auf seinem Weg nach oben bedient hatte, und hatte einen ähnlich verbreiteten Namen wie er. Ich zog das arg lädierte blaue Buch aus dem Schrank und pfefferte es mit aller Gewalt gegen die Wand, ein bewährtes Wutritual. Ich wiederholte die Aktion und spürte, wie ich ruhiger wurde. "Die Freistellung wird erst zum nächsten Quartalswechsel, also in zehn Wochen, erfolgen." Die Freistellung! Schöner Euphemismus. Für Kündigung. Das bedeutete Arbeitslosigkeit, vielleicht keine halbwegs ordentlich bezahlte Arbeit mehr in meinem ganzen Berufsleben. Und ich war gerade fünfundvierzig geworden. Obwohl mir eigentlich klar war, daß alleine die Firma dafür verantwortlich war und der Berater nur ein bezahlter Sündenbock, konzentrierte sich mein Mißmut auf ihn. Typen wie er werden vom System begünstigt. Schaumschläger und Selbstdarsteller. Selbstkritische Grübler will man eigentlich nicht haben. Allen anderslautenden Statements zum Trotz.
 
      Ich sah spontan nur ein Ventil für mich, und das hieß Rache. So ein eloquenter Personalspezialist war im Netz doch gewiß kein Unbekannter. Und tatsächlich, er hatte eine persönliche Homepage, seine Firma "Neumann und Partner" war prominent vertreten und zahllose Branchenverzeichnisse und Portale listeten ihn. Was für eine beeindruckende Liste mit Referenzen! Das klang wie ein DAX - Verzeichnis. Was tat er dann hier? War er auf dem absteigenden Ast oder nur gierig? Ich rief sein Büro an, gab mich als kleiner Unternehmer aus und fragte an, ob Herr Neumann Interesse an Beratungsleistungen im Personalbereich hätte. O ja, er hatte, beschied man mir und wollte gleich einen Termin vereinbaren. Ich fragte nach den Kosten, die überschaubar schienen, und sagte, ich würde es mir überlegen und gegebenenfalls wieder auf sie zukommen. Die Enttäuschung wurde nur schwach von professionellem Gleichmut überlagert. So gut ging es uns also gar nicht. Deshalb spielen wir den Kündigungsassistenten in der dritten Liga, statt den ganz großen Jungs Visionen zu verkaufen. Mein Rachebedürfnis verpuffte, und mein Weltbild festigte sich wieder ein wenig. Ich hatte schon einmal einen Ausweg aus einer schwierigen beruflichen Situation gefunden. Es würde mir wieder gelingen. Gute Leute sind schließlich immer gefragt.       



raus
zurück rein weiter